Manipulierte Kassensysteme: Anklage zum Landgericht Osnabrück erhoben
Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 18.06.2024
Die Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg hat gegen einen 39-Jährigen Anklage wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen sowie der Beihilfe zum Fälschen technischer Aufzeichnungen in 189 Fällen zur Wirtschaftsstrafkammer bei dem Landgericht Osnabrück erhoben.
Laut Anklage ist der Angeschuldigte faktischer Geschäftsführer einer in Frankfurt/Main ansässigen Firma, die Kassen für die Gastronomie entwickelt und entweder direkt oder über eine Drittfirma vertreibt. Die in seinem Auftrag entwickelte Kassensoftware soll es Kunden ermöglicht haben, bereits in der Kasse erfasste Gästezahlungen über eine App nachträglich wieder aus den Kassendaten zu löschen.
Im Zeitraum Mai 2016 bis März 2021 sollen bundesweit 189 Kunden, die ihre Systeme direkt von der Firma des Angeschuldigten erworben hatten, auf diese Weise ihre Kassenumsätze unter Verwendung der App teils im erheblichen Umfange gekürzt haben. Allein in den fünf angeklagten Fällen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung sollen Gastronomen in Papenburg, Leer, Ganderkesee, Haselünne und Wilhelmshaven mit Hilfe des Kassensystems des Angeschuldigten Steuern in Höhe von 884.033,- Euro hinterzogen haben.
Gegen die Herstellerfirma hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Einziehung des aus den Verkäufen der 189 Kassensysteme erzielten Erlöses in Höhe von über einer Million Euro beantragt.
Das Landgericht Osnabrück hat nunmehr über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden.
Hinsichtlich dieser Pressemitteilung wird gebeten, Rückfragen direkt an die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Oldenburg zu richten. Für Fragen zum weiteren Fortgang des Strafverfahrens wird gebeten, sich an die Pressestelle des Landgerichts Osnabrück zu wenden.
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Hintergründe:
Die Verwendung von PC-Kassen mit einer eingebauten Manipulationsmöglichkeit zur Vermeidung einer zutreffenden steuerlichen Erfassung der Umsätze ist in der Gastronomie kein unbekanntes Phänomen. Für den Bereich der asiatischen Buffetrestaurants war bis zum Sommer 2018 das Kassensystem „Multiway“, welches eine in der Kassensoftware bereits implementierte Manipulationsfunktionalität anbot, eines der bundesweit führenden Anwendungen. In diesem Zusammenhang verurteilte das Landgericht Osnabrück in 2019 zwei Brüder zu langjährigen Haftstrafen.
Mit dem Bekanntwerden der Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der Firma „Multiway“ und der durch die Verhaftung bedingten Einstellung des Supports für die Kassensysteme suchten Gastronomen – insbesondere auch in den hier angeklagten 5 Steuerfällen – neue Möglichkeiten, weiterhin ihre Umsätze entdeckungssicher am Finanzamt vorbei „schwarz“ einzunehmen. Diese Marktlücke soll der Angeschuldigte erkannt und ein eigenes Kassensystem mit Manipulationsmöglichkeit entwickelt und vertrieben haben. Im Gegensatz zur Firma „Multiway“, die sich auf asiatische Restaurants konzentriert hatte, ließ der Angeschuldigte sein System bundesweit nahezu allen interessierten Betrieben anbieten. Im März 2021 durchsuchten Polizeibeamte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Oldenburg bundesweit bei über 470 bekannten Kunden, die das Kassensystem des Angeschuldigten direkt oder über eine Drittfirma erworben hatten.
Die sichergestellten Kassensysteme nebst Mobilgeräte mit der Manipulations-App werteten Beamte der Steuerfahndung Oldenburg aus. Dabei fanden sich in rund 95% der Kassen Hinweise auf Datenmanipulationen. Die Steuerfahndung schätzt danach den bundesweit durch dieses Kassensystem bedingten Steuerausfall für den Zeitraum Juli 2018 bis März 2021 auf rund 140 Mio. Euro.
Die Ermittlungsverfahren wegen des Fälschens technischer Aufzeichnungen und der Steuerhinterziehung gegen über 460 Kassennutzer (Haupttäter), die nicht in die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Oldenburg fallen, sind zwischenzeitlich bundesweit an die zuständigen Staatsanwaltschaften bzw. an das Bundeszentralamt für Steuern abgegeben worden.
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